Ansprache zur Vernissage Grossenbacher/Bratschi

Therese Grossenbacher und Kurt Bratschi in der Gewölbe Galerie

Es ist ein Himmel und doch kein Himmel. Es ist ein Fels und doch kein Stein. Es ist eine Wolke ohne Bewölkung. Es trägt uns fort, über unsere Grenzen hinaus. Es reisst uns in die Tiefen unserer Seele hinab. Therese Grossenbacher und Kurt Bratschi spannen den Bogen vom Himmel zum Urgestein, sie lenken unseren Blick nach oben und spiegeln unsere Wurzeln.


Kurt Bratschi nimmt uns auf unzählige Wanderungen mit, auf Entdeckungs- und Erfahrungsreisen entlang der Alpenkette. Warme Ockertöne mahnen an die Provence, Abstufungen von Grün bis Grau zeichnen das Kalkgestein unserer Voralpen, Gneiss und Granit die höchsten Gipfel. Aus halb Europa stammen denn auch die Steine, Kiesel, Felsbrocken und Lehmschichten, die seinen Bildern die eigentümliche Ausdruckskraft und die irdenen Farben verleihen. Seine Lust, zu malen und die Freude an der Natur bildlich umzusetzen, ist ihm in der Provence gekommen. Er begann zu sammeln, zu sehen, neu zu schauen. Brocken, Steinchen, Sand kommen mit nach Hause, in den Mörser und von dort auf die Leinwand. Seine Bilder entstehen aus feinsten Pigmenten und Staubkörnern. Sie geben seinem Werk die markante Stimmung, die Verwandtschaft mit dem Ursprungsort ist unverkennbar. Schritt um Schritt hat er sein eigenes Verfahren entwickelt, um die Elemente auf den Bildern so festzuhalten, dass natürlicher Glanz und Struktur bewahrt werden. Sein Respekt gegenüber der Natur ist gross und motiviert ihn, das Schöne, Erhabene zum Thema seiner künstlerischen Arbeit zu machen. „Hier, in völliger Stille, träume ich von gewaltsamen Harmonien inmitten natürlicher Wohlgerüche, die mich berauschen. -Tierische Figuren von statuarischer Starrheit: etwas undefinierbares Altes, Erhabenes, Religiöses im Rhythmus ihrer Bewegung, ihrer seltsamen Unbewegtheit. In Augen, die träumen, das verschleierte Bild eines unergründlichen Rätsels. Und nun ist es Nacht, und alles ruht. Meine Augen schliessen sich, um den Traum in dem unendlichen Raum, der sich vor mir ausdehnt, zu sehen, ohne ihn zu verstehen.“


 

Die Arbeiten von Therese Grossenbacher sind eben diesem „unendlichen Raum, der sich vor uns ausdehnt“ und von dem Paul Gauguin spricht, geweiht. Ihre Faszination gilt ganz dem Himmel, seinem unendlichem und unergründlichen Wesen. Doch das Wissen um Sterne und um Licht im Universum bedeutet mitnichten, dass seine Geheimnisse gelüftet wären. Immer wieder aufs Neue fesseln wechselnde Formen, sich ineinander verwebende Streifen, übereinander türmende Schichten; Ebenen von durchschimmernden Farben, transparentem Firnis. Hunderte von Nuancen von hell bis dunkel sind ständig in Bewegung, spiegeln das Licht, werfen Schatten. Ephemere Wolkengebäude bilden den Baustein von Therese Grossenbachers ästhetischem Engagement. Ihre grossflächigen Wolkenbilder faszinieren durch Vielschichtigkeit, Transparenz, Irritation. Taghimmel, Nachthimmel, Wolken, Lichtpunkte und Leuchtkörper. Die Arbeit mit dem Licht ist für Therese Grossenbacher nach wie vor zentrales Thema. Sie spielt mit dem Spannungsfeld, das sich aus unserer bipolaren Realität heraus ergibt. Zu hellen, ätherischen Werken entstehen Gegenstücke in einer dunkleren Palette. Gekonnt nutzt sie das Brechtsche Prinzip der Verfremdung, verwendet an unerwarteten Orten lustvoll Magenta, und arbeitet so die zentrale Aussage deutlich und prägnant heraus. Welch ein Herantasten, Erproben, Können, um die komplexe Dreidimensionalität eines Himmelskörpers auf der Leinwand fassbar zu machen. Wer die Flügel spreizt, wird davongetragen. Grossenbachers Bilder verdeutlichen auch, dass Bilder nicht Realität darstellen, sondern Wirklichkeit sind. In ihren Tuschezeichnungen nimmt sie Bildelemente wieder auf und dekliniert sie in neuen unerwarteten Formen manchmal mit organischen, dann wieder mit graphischen Zeichen. Therese Grossenbacher interpretiert Weite, Weitsicht, Höhe, Tiefgründigkeit, Veränderung und Leben. Sie entscheidet sich bewusst für Schönheit; keinesfalls ein unschuldiger Entscheid. Wie Kurt Bratschi entspringt er einem echten Engagement. Schönheit ist Programm, ist politisches Manifest. Nelson Goodmann schrieb "Die ästhetische 'Einstellung' ist ruhelos, wissbegierig, prüfend - sie ist weniger Einstellung als vielmehr Handlung: Schöpfung und Neuschöpfung."

Zur Einstimmung ein Gedicht von Paul Eluard

Je te l'ai dit pour les nuages
Je te l'ai dit pour l'arbre de la mer
pour chaque vague pour les oiseaux dans les feuilles
pour les cailloux du bruit
pour les mains familières
pour l'œil qui devient visage ou paysage
et le sommeil lui rend le ciel de sa couleur
pour toute la nuit bue
pour la grille des routes
pour la fenêtre ouverte pour un front découvert
Je te l'ai dit pour tes pensées pour tes paroles
Toute caresse toute confiance se survivent.



Caroline Beglinger für die Gewölbe Galerie, 22. Juni 2007